Inklusion in der Schule – eine unverzichtbare Herausforderung

31. October 2019

Was bedeutet Inklusion ĂŒberhaupt genau und warum ist sie fĂŒr die Schule unverzichtbar?

Ich habe als Schulleiterin eine inklusive Ganztagesschule aufgebaut und berichte in diesem Blogpost ĂŒber meine Erfahrungen zur Inklusion.

Was ist Inklusion ĂŒberhaupt?

Inklusion bedeutet, dass jeder Einzelne das Recht hat zur Gemeinschaft aller zugehören.

Es ist gut, normal und bereichernd verschieden zu sein.

Verschieden auszusehen, verschieden zu sprechen, verschiedenes zu können, verschiedenes zu mögen und sich unterschiedlich zu verhalten.

Inklusive PĂ€dagogik

Inklusive PÀdagogik ist ein pÀdagogischer Ansatz, dessen wesentliches Prinzip die WertschÀtzung und Anerkennung von DiversitÀt in Bildung und Erziehung ist.

Das Recht auf Inklusion

Und Inklusion ist ein Recht, das die UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben hat. Deutschland hat diese Konvention unterschrieben und sich folglich dazu verpflichtet, behinderten Menschen Selbstbestimmung, Teilhabe und Gleichstellung zu gewÀhren.

FĂŒr die Schule bedeutet das, dass ein Kind mit Behinderung auf die allgemeine Schule gehen darf. Dass es durch die Behinderung nicht ausgeschlossen wird.

Dass alle Kinder zusammen lernen und die DiversitÀt, das Verschiedensein die NormalitÀt ist.

Wann ist es gelungen, dass alle Kinder zusammen leben und lernen?

Es ist gelungen, wenn die Neugierde den anderen kennen zu lernen, die Irritation ĂŒber das Anderssein schlĂ€gt.

Es ist gelungen, wenn die Kinder sich freuen ĂŒber die andere Sichtweise, weil sie die Bereicherung fĂŒr ihr Leben spĂŒren.

Es ist gelungen, wenn Kinder ihren Eltern erklÀren, was die Behinderung des neuen Kindes in der Lerngruppe ist, weil diese zu kennen zur Vorstellung des anderen dazugehört und zwar wertfrei.

Es ist gelungen, wenn Kinder sagen dĂŒrfen, dass sie die Behinderung doof finden.

Es ist gelungen, wenn wir dankbar fĂŒr die Gemeinschaft sind und jeder wichtig ist.

Es ist gelungen, wenn nicht mehr die Behinderung, sondern der Mensch wichtig ist.

Es ist gelungen, wenn Eltern behinderter Kinder sich nicht wie Außerirdische fĂŒhlen, sondern genauso zur Schulgemeinschaft gehören, wie alle anderen auch.

Es ist gelungen, wenn die Freude des Zusammenseins die Angst vor dem „lernt mein Kind genug“ ĂŒberflĂŒgelt.

Es ist gelungen, wenn uns die Behinderung gar nicht mehr auffĂ€llt, weil Verschiedensein tatsĂ€chlich normal fĂŒr uns ist.

Grundlagen und Rahmenbedingungen

Damit diese Vision wahr wird, braucht es einige Grundlagen und Randbedingungen in der Schule.

Ich selbst habe eine inklusive Ganztagesschule, die nach den Prinzipien von Maria Montessori arbeitet aufgebaut und möchte erzÀhlen, was mich diese Erfahrung gelehrt hat zum Thema Inklusion.

Eine Montessori-Schule muss nach meiner Meinung inklusiv arbeiten, das legt schon ihr SelbstverstÀndnis fest.

„Der Weg, auf dem die Schwachen sich StĂ€rken, ist der gleiche wie der, auf dem die Starken sich vervollkommnen.“

DAS Zitat von Dr Maria Montessori zum Thema Inklusion.

Zentrale Werte

Die Werte Akzeptanz, WertschĂ€tzung, Respekt, Toleranz und Entwicklung sind zentral. Diese Werte sind die Grundlage fĂŒr inklusive PĂ€dagogik.

Die PĂ€dagog*innen haben diese Werte verinnerlicht und leben nach ihnen. Oft sind sie der Grund, warum sie sich gegen die Arbeit an einer staatlichen Schule entschieden haben.

So viel zur Theorie.

Der Teamprozess

In der Praxis habe ich erlebt, dass es sehr wichtig ist einen Teamprozess zu gestalten, indem sich die PĂ€dagog*innen bewusst dafĂŒr entscheiden den Weg der inklusiven Beschulung zu gehen.

Dieser Prozess der aktiven Umgestaltung einer Montessori-Schule in eine inklusive Montessori-Schule dauert, da er eine Teamentwicklung umfasst.

Es sollte sich ein stabiles Team bilden, das das Ziel der Inklusion mit vollem Herzen bejaht.

Erst dann kann die Schule sich inklusive Schule nennen.

Die Werte der inklusiven PĂ€dagogik sind bei jedem einzelnen Teammitglied verinnerlicht und optimalerweise wird diese Arbeit als Bereicherung erlebt. An meiner Schule hat das ca. fĂŒnf Jahre gedauert.

Welche GrundsĂ€tze sind elementar fĂŒr die inklusive PĂ€dagogik?

Eine Montessori-Schule arbeitet ohne Noten und in der Altersmischung. Jedes Kind lernt auf dem Niveau, auf dem es gerade ist. Lernen passiert bewegungsorientiert und vom Konkreten zum Abstrakten.

Jeder einzelne dieser Punkte ist elementar fĂŒr das Gelingen einer inklusiven PĂ€dagogik.

Wenn wir davon ausgehen, dass jedes Kind bezogen auf Lerntempo, Lernzeitpunkt und Lernmaterial unterschiedliches brauchen, dann richten wir die Lernumgebung so ein, dass es viele verschiedene Angebote gibt. Das ist ganz selbstverstÀndlich. Das kommt der inklusiven PÀdagogik entgegen.

Vielleicht braucht ein Kind mit einer speziellen Behinderung, zum Beispiel einer Sehbehinderung weiteres Material, das auf die BedĂŒrfnisse dieses Kindes zugeschnitten ist.

Bitte keine Sonderstellung

Doch die Grundhaltung, dass verschiedene Kinder verschiedenes Material brauchen, ist bereits vorhanden. Damit ist der Boden bereits vorbereitet und die „Sonderstellung“ des behinderten Kindes, von der wir ja nach und nach wegwollen, entsteht erst gar nicht. Das ist richtig gut und wichtig.

Spannend ist auch, dass das „spezielle Material“ im Alltag gerne von vielen Kindern benutzt wird und auch deren Lernen prima unterstĂŒtzt.

Inklusion als echte Bereicherung!

Ohne das behinderte Kind wÀre wir gar nicht auf diese Idee gekommen! Wie wunderbar! Wie bereichernd.

Ich habe auch erlebt, dass zum Beispiel die GebĂ€rden, die fĂŒr ein nichtsprechendes Kind an die LerngruppenwĂ€nde gehĂ€ngt wurden von vielen Kindern hilfreich gefunden wurden und auch von ihnen benutzt wurden. Ganz losgelöst vom nichtsprechenden Kind hingen diese noch im Raum, als das Kind schon in einer höheren Lerngruppe war oder die Schule verlassen hatte.

Wie schafft man es aus einem pÀdagogischen Team ein inklusiv denkendes pÀdagogisches Team zu machen?

Der Weg: Klare Erwartungen

Zuallererst mit klaren Erwartungen. Das reicht aber noch lange nicht aus. Es handelt sich ja um einen inneren Prozess der HaltungsÀnderung und dieser kann nur von den PÀdagog*innen selbst vollzogen werden.

Der weitere Weg: VerstÀndnis und Geduld

Ich habe gute Erfahrungen gemacht mit VerstÀndnis und Geduld.

In der Lehrerausbildung werden die HĂŒrden zwischen der allgemeinen PĂ€dagogik und der SonderpĂ€dagogik hoch aufgebaut. NatĂŒrlich denken PĂ€dagoginnen, die in der RegelpĂ€dagogik ausgebildet sind, dass sie ganz besondere FĂ€higkeiten, die sie noch nicht mal kennen, nicht haben, um behinderte Kinder kompetent zu unterrichten. Um diese HĂŒrden etwas abzubauen, hilft es sich Zeit fĂŒr die Fragen der Kolleginnen zu nehmen und regelmĂ€ĂŸig SonderpĂ€dagog*innen der entsprechenden Fachrichtung an die Schule zu holen.

Womit ich auch sehr gute Erfahrungen gemacht habe, ist mit dem Besuch der Sondereinrichtung, in die das Kind gegangen wÀre, wenn wir es nicht hÀtten aufnehmen können.

Das zeigt, dass auch hier „nur mit Wasser gekocht wird“.

Außerdem war es mir wichtig, als Schulleiterin die Inklusion nicht zu verordnen.

Ich machte klar, dass das der Weg der Schule sein wĂŒrde.

Das war nicht verhandelbar, aber gleichzeitig verfolgte ich das Prinzip der Freiwilligkeit.

Keine Lehrkraft sollte in die Situation kommen, dass sie ein Kind aufnehmen musste und sich dafĂŒr nicht bereit oder fĂ€hig fĂŒhlte. Jeder sollte seine Zeit bekommen in die neue Aufgabe hinein zu wachsen.

Außerdem stĂ€rkte ich das Selbstvertrauen der Kolleg*innen durch einfĂŒhlsame GesprĂ€che und positives und konstruktives Feedback.

Es sollte ein Prozess angeregt werden, den nur jeder Mensch selbst fĂŒr sich gehen kann:

Sich innerlich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass ich meine Kompetenz erweitern kann, es nicht alleine schaffen muss und das Spektrum der verschiedenen Voraussetzungen der Kinder in der Lerngruppe breiter werden darf.

Das war nötig und das ist keine einfache Sache, die eben schnell mal so zu machen ist. Es braucht Zeit.

Das Team trug und stĂŒtzte sich in diesem Prozess gegenseitig, wie ein Netz hielt man sich. Das setzte ein GefĂŒhl des „Zusammen-schaffen-wir-das“ frei.

Gleichzeitig verĂ€nderte sich die Perspektive der PĂ€dagoginnen in dem Moment, in dem sie das Kind kennen lernten. Denn es ist ja einfach ein Kind. Lebendig, liebenswert, besonders. Wie jedes andere Kind auch. Und dieser Perspektivenwechseln faszinierte mich immer wieder und außerdem passierte ein weiteres, interessantes PhĂ€nomen. Um meiner Aufgabe als Schulleiterin zu entsprechen, musste ich ab dem dritten Jahr der Inklusion darauf achten, dass wir nicht zu viele Kinder einluden, denn die Kolleginnen wollten diese Kinder dann auch aufnehmen, wenn sie sie erst mal kennen gelernt hatten.

Das freute mich natĂŒrlich sehr und jeder, der mit geschĂ€rften Sinnen eine Freiarbeit beobachtet einer Kindergruppe, die gewollt heterogen zusammengesetzt ist, kennt diesen besonderen Zauber, der nur durch die Mischung entstehen kann.

Außerdem umgibt gerade die Kinder mit den besonderen BedĂŒrfnissen etwas, das ich nicht nĂ€her benennen kann (und will) und das eine echte Bereicherung fĂŒr alle Menschen in ihrer Umgebung ist.

Das multiprofessionelle Team

Das pÀdagogische Team wurde durch die hinzukommenden Schulbgleiter*innen vielfÀltiger  und multiprofessioner. Eine Bereicherung.

Der Weg war nicht immer leicht, das möchte ich nicht verschweigen.

Ich erinnere mich an konfliktgeladene Teamsitzungen.

Heute weiß ich, dass es die Angst vor der Überforderung, vor dem Scheitern war.

Ich stand in der Schule fĂŒr eine neue Herausforderung und es wurde immer klarer, dass diese nicht auszusitzen war. Ich bemĂŒhte mich immer diese Situationen nicht persönlich zu nehmen, denn ich stand ja nur fĂŒr dieses Thema. Dies war nicht immer leicht und ich hĂ€tte es mir und allen durch ein oder zwei klare Kommunikationsprinzipien sehr viel leichter machen können. Durch die Erfahrung und meine intensive Reflektion unseres Weges wurde mir das nach und nach klar.

FĂŒr Schulen, die sich auf den Weg in die Inklusion machen wollen, begleite ich heute diesen Prozess sehr gerne als externe Beraterin. Es sind Ă€ußere und innere Prozesse nötig, die serh gut von außen angeleitet werden können. Das macht den Prozess oft erst möglich. Außerdem wird er mit Begleitung immer leichter, schneller und nachhaltiger.

Wir erarbeiten ein passgenaues Konzept und eine transparente Kommunikation auf allen Ebenen und ich erspare den Schulen manchen Umweg, den ich selbst gegangen bin.

Sandra Schumacher

Wunder. Fliegen- Weiter.

Sandra Schumacher

Sandra Schumacher ist die GrĂŒnderin des Instituts Wunder. Fliegen. Weiter. und blickt selbst auf 10 Jahre Schulleitung an einer freien Montessori-Schule zurĂŒck.

In ihren Blogartikeln schenkt sie dir spannende Einblicke in alltĂ€gliche Fragen von Schulleiter:innen und FĂŒhrungspersonen an Schulen - und hilft dir, deine eigene FĂŒhrung jeden Tag zu verbessern!

Erfahre mehr ĂŒber uns!

Psst, es gibt eine Ausbildung zur Schulleitung

Die praxisnahe Fachausbildung zu den “7 RĂ€umen der FĂŒhrung”

Die Online-Fachausbildung zu den “7 RĂ€umen der FĂŒhrung” ist das HerzstĂŒck des Instituts. Zwei Mal im Jahr begleiten wir eine ausgewĂ€hlte Gruppe von bis zu 25 Personen dabei, in ihre souverĂ€ne FĂŒhrungsrolle (noch mehr) hineinzuwachsen. Dabei kreieren wir eine ausgeglichene Mischung von Gemeinschaft und Austausch mit wertvollem und praktischem Input.

Nach den 3 Monaten wirst du nicht nur Kontakte fĂŒr das Leben geknĂŒpft haben, sondern mit einem ganz neuen GefĂŒhl von Gelassenheit deinen Alltag mit all seinen Herausforderungen meistern.

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